Montag, 3. Oktober 2016

Die letzten Tage

Mehr oder weniger ausgeschlafen und mit einer leicht melancholischen Stimmung starteten wir am 30.09. in unseren letzten aktiven Tag in Kanada. Auf dem Programm des heutigen Tages stand neben dem erneuten Besuch dreier verschiedener Schulen und einem Vortrag an der University of New Brunswick lediglich unser Abschiedsdinner. Wir besuchten folgende Schulen:


Park Street Elementary School

Eine der drei Gruppen begab sich in die Park Street Elementary School, in der Schüler*innen vom Kindergarten bis zur Klasse fünf unterrichtet werden.


Dort wurden wir zuerst kurz vom Schulleiter der Schule, der erst seit Beginn des aktuellen Schuljahres an der Schule tätig ist, begrüßt. Da zwischen 10 und 11 Uhr eine Rede der Regierung der Provinz New Brunswick in der Grundschule stattfand, führte uns dann jedoch nicht der Schulleiter, sondern eine Lehrerin durch die Schule. Wir hatten die Möglichkeit, zu beschreiben, was wir an der Schule beobachten wollen und einige Fragen zur Schule allgemein zu stellen. Nachdem wir noch mit den Ressource teacher bekannt gemacht wurden und auch dort Fragen stellen konnten, teilten wir uns in Zweiergruppen auf und begaben uns in verschiedene Klassenräume. Dort bekamen wir einen für uns besonderen Mathematikunterricht zu sehen. In der Park Street School haben Kinder aus aus den Klassenstufen eins bis fünf, die auf dem gleichen Leistungsstand sind, unter anderem zusammen Mathematikunterricht. Dafür schreiben die Kinder in regelmäßigen Abständen Tests, damit die Lehrer*innen sie in diese Leistungsstufen einteilen können.  Somit werden zum Beispiel Schüler*innen aus der zweiten zusammen mit Schüler*innen aus der dritten und fünften Klasse im Stoff aus der dritten Klassenstufe unterrichtet. Es ist jederzeit möglich, dass die Kinder in eine höhere oder tiefere Leistungsstufe wechseln, wenn die Lehrperson der Meinung ist, dass das Kind über- oder unterfordert ist. Die Schüler*innen wissen jedoch nicht selbst, in welchem Level sie sind. Ein weiteres spezielles Programm der Schule sind die Unterrichtsstunden, die von werdenden Krankenschwestern gehalten werden. Ziel ist, dass sich die Kinder mit einer ausgeglichenen Ernährung und einer gesunden Lebensweise auseinandersetzen.
Ein demokratisches Element an der Schule war die gerade anstehende Wahl zur/zum Schulsprecher*in



Zwischendurch hatten wir die einmalige Chance uns eine Rede des Bildungsministers Brian Kenny und des Ministerpräsidents Brian Gallant anzuhören, die die Park Street Elementary School ausgewählt haben, um bekannt zu geben, dass das Französisch-Immersions-Programm ab September 2017 schon ab der ersten Klasse beginnt. Die Schüler*innen, die zu Hause kein Französisch sprechen, sollen so die Sprache in der Schule lernen und auch es sollen auch manche Unterrichtsstunden in Französisch gehalten werden. Da es sich um eine Bekanntgabe für die ganze Provinz handelte, war auch ein großes Kamerateam anwesend.
Anschließend besuchten wir weitere Klassen und versuchten unsere restlichen Fragen mithilfe einer Gesprächsrunde mit einer der beiden Ressource Teacher und später auch dem Schulleiter zu klären. In diesem Gespräch erfuhren wir unter anderem von einem Raum, in dem Kindern durch eine chinesische Lehrerin und mit Hilfe von Telefonkonferenzen die chinesische Kultur näher gebracht werden.


 

Als früheste Gruppe begaben wir uns gegen 6.45Uhr auf den Weg zur Gagetown Schule. Es handelt sich hierbei um eine Einrichtung von Kindergarten bis Klasse acht. Trotz dieser breiten Altersspanne handelte es sich allerdings um eine sehr kleine Schule mit lediglich 91 Schüler*innen. Nach einer herzlichen Begrüßung durch die Schulleiterin und  der Elternratsvorsitzenden wohnten wir der individuellen Begrüßung der Schüler*innen bei. Jedes Kind wurde persönlich begrüßt und mit jedem wurden 1-2 Seite gewechselt. Anschließend bekamen wir eine Führung durch die Schule, die auf Grund der kleinen Größe (höchstens 12 Klassenzimmer mit Bibliothek, Küche und Waschräume) ziemlich kurz ausfiel. Die verschiedenen Klassen werden meist zusammen unterrichtet. Viele Räume waren deshalb leer, während wir Zeit für die Hospitationen hatten.
Am beeindruckendsten fand ich eine Boogey-Woogey (Quiggly-Squiggly-)Phase. Während dieser Phase beobachteten wir die Schüler*innen dabei, wie sie zu einer Musik, in diesem Fall "I like to move it", ihre Energien beim Tanzen und Herumalbern herauslassen konnten. Von so viel Tatendrang, Freude und Energie angesteckt konnten auch wir nicht ruhig sitzen bleiben. Eine Auffälligkeit an der Schule war die starke Präsenz, regelrechte Dominanz der Schulleitung. Für sie stand das Einhalten der Regeln und das Zeigen von Respekt im Mittelpunkt der Führung. Das äußerte sich durch Kommentare, aber auch in der Umgangsweise mit den Schüler*innen und den ausgehängten Zetteln.
Wir konnten beispielsweise beobachten, wie ein Junge "zu schnell" über den Flur lief und harsch von der Schulleitung zurück gerufen wurde. Er musste sich entschuldigen und nochmals langsam weggehen. Ein anderer Schüler wurde im Unterricht (trotz Meldung anderer Schüler*innen) aufgefordert und trotz korrekter Aussage mit "Get involved, Mister!" zurecht gewiesen. Ein anderer Schüler, der eine Frage falsch beantwortete, die die Lehrperson wohl schon beantwortet hätte, bekam den Hinweis er wäre doch schließlich ein Mensch und kein Tier, könne demzugolge auch zuhören und mitdenken.
 Nachdem der Lehrer dann die richtige Antwort gab, pfiff er und sagte "Line up and calm down!" und die Schüler*innen stellten sich in einer Linie an der Tür auf. Das Prinzip des Aufstellens in einer Linie zeigte sich auch beim Verlassen und Betreten des Schulhauses zur Pause. Hierbei gab die Schulleitung die Anweisungen. Beim Hineingehen in die Schule am Ende der Pause mussten alle Schüler*innen "like a soldier" (gerade, Blick nach vorne gerichtet, Hände an die Seite, an einer auf dem Boden eingezeichneten Linien) in zwei Reihen stehen und lächeln, erst dann durften sie geordnet und in Klassenstufen eingeteilt das Gebäude betreten. Nach weiteren Besuchen der Klassen bekamen wir zur Mittagszeit die freundliche Einladung zu einer Stadtführung, um das Zuhause einiger Schüler*innen kennenzulernen. Anschließend wurden wir zu einer Lehrerin nach Hause zum Essen eingeladen. Hier trafen wir auf fast alle Lehrer*innen der Schule und hatten die Möglichkeit, wissenschaftliche und private Gespräche zu führen.






Nach viel zu kurzer Zeit begaben wir uns schließlich auf den Weg zur Universität von New Brunswick.
An der Universität hörten wir einen Vortrag von Alan Sears, der eher einer Diskussion glich. Hierbei erhielten wir noch einmal einen Einblick in Inklusion und Heterogenität in New Brunswick. Wir diskutierten die Situation der indigenen Bevölkerung, Home Schooling, das morgendliche Singen der kanadischen Nationalhymne aber auch die Situation von "Newcomern"* in den Schulen.
Dadurch bot sich uns die Möglichkeit gesammelte Fragen und Auffälligkeiten der letzten Tage noch einmal aus einer wissenschaftlichen Perspektive zu beleuchten. Vor allem die Reflektiertheit Alan Sears diente damit zu einer Erkenntnisserweiterung.



Schließlich hatten wir nochmal einige Stunden Freizeit, ehe wir uns gegen 20 Uhr trafen, um gemeinsam Essen zu gehen. Dort angekommen fiel uns auf, dass auf Grund der Raumaufteilung die geplante Gruppenreflexion eher schwierig sein würde - dennoch versuchten wir in zwei Gruppen, das Beste daraus zu machen.


Leider schloss das Restaurant bereits um 22 Uhr, weshalb wir den Austausch unterbrechen und zurück ins Hotel fahren mussten. Dort eingetroffen versammelten wir uns auf dem Boden des Fitnessraums und brachten die Reflexion, wenn auch in dezidierterer Form, und mit einer "Warmen Dusche" zu Ende. Dabei handelt es sich um eine Technik, bei der jede*r einen Zettel an den Rücken geklebt bekommt, auf den jede*r etwas Nettes über die jeweils anderen schreiben kann. 
Die letzten Stunden nutzten wir dann schließlich auf verschiedene Weisen, sei es bei einem angeregten Austausch über die Erfahrungen der Exkursion, dem Besuch eines Clubs oder dem direkten Schlafengehen.


Nach nur wenigen Stunden Schlaf brachen wir, nach dem Frühstück am 01.10., gen Heimat auf. In Fredericton am Flughafen angekommen, säuberten wir die Mietwagen und gaben sie ab, ehe wir eincheckten und unser langer Tag auf den Flughäfen und in den Flugzeugen begann. Wie auch bei der Hinreise flogen wir dieses mal von Fredericton nach Toronto, von Toronto nach Frankfurt und letztlich dann von Frankfurt nach Leipzig. Müde, ausgelaugt und vor allem heil am 02.10. um 10.30 Uhr in Leipzig angekommen, verabschiedeten wir uns ausführlich als Gruppe, ehe wir uns mit Freude in die Arme unsere Liebsten begaben.


Cynthia & Annika

* Bei "Newcomern" oder auch "New Canadians" handelt es sich um den in Kanada üblichen Begriff für Geflüchtet.

"children are a blessing and a gift from the lord" ?

Am 29. September besuchte ich das erste mal in dieser Woche statt einer Schule ein Early Childhood Center - also einen Kindergarten - in der Nähe von Woodstock. Angie's little peeps ist in einem Wohnhaus außerhalb des Ortes angelegt. Ohne ein Auto stelle ich es mir sehr schwer vor, dort hinzu gelangen. Der Kindergarten ist so aufgebaut, dass die verschiedenen Räume jeweils für Kinder verschiedener Altersstufen gedacht sind. Dabei gibt es einen Raum für Babies, für 1-Jährige, 2-3-Jährige, 4-5-Jährige sowie im Untergeschoss einen Raum für die Nachmittagsbetreuung von Schulkindern. Des Weiteren gibt es noch einen Garten, in dem die Kinder selbst Gemüse anbauen können und - meine Lieblingsstelle - ein "Waldklassenzimmer". Dafür wurde im (zehn Meter entfernten) Wäldchen ein "Raum" mit Tischgruppen, Spielküche und anderen Spielsachen eingerichtet.


Angie's Little Peeps orientiert sich an verschiedenen pädagogischen Konzepten. Ähnlich wie in der Waldorfpädagogik wird hier viel auf Holzspielzeug und die Fantasie der Kinder beim Spielen gesetzt, jedoch findet man in den Räumen durchaus auch Spielzeug aus Plastik. In der Gruppe der 4-5-Jährigen, in der ich mich hauptsächlich aufgehalten habe, wurde zum Großteil der Zeit frei gespielt. Es war interessant und schön zu beobachten, wie hierbei die Kinder miteinander umgehen. Zwischenzeitlich gab es dann Vorschulelemente, in denen das Alphabet vorwärts und rückwärts (das meine ich wortwörtlich) gelernt wurde, Wörter mit "D" gesucht und Geburtstage einstudiert wurden. Angie's Little Peeps ist somit ein schöner, aber doch nach unseren Erfahrungen recht "normaler", bzw. "durchschnittlicher" Kindergarten.




Woodstock High School


Unser Teil der Exkursionsgruppe besuchte die Woodstock High School. Diese Public School wird von knapp 600 Schüler*innen in den Klassenstufen neun bis zwölf besucht. Die Schule ist englischsprachig orientiert, besitzt aber, wie bereits viele andere Schulen der letzten Tage, ein French-Immersion- Programm, bei dem Kurse auf Französisch gehalten werden. In der Schule wurden wir herzlich durch sieben verschiedene Lehrpersonen empfangen. Darunter waren zwei Ressource teacher, der Stellvertretende Schulleiter und ein Lehrer, welcher sich vor allem um die First-Nation-Schüler kümmert. Nach der Begrüßung hatten wir mit allen ein sehr intensives Gespräch. Zur Sprache kamen neben der Organisation der Schule und deren Umgang mit Heterogenität und Inklusion (welche nicht von dem Umgang der meisten bisher besuchten Schulen in New Brunswick abweicht), vor allem auch die Probleme, mit denen die Schule zu kämpfen hat. Zu den Problemen zählten eine Zunahme des Schulabsentismus, vermehrtes Mobbing, der Abfall der Schülerzahlen und finanzielle Schwierigkeiten. Nachdem wir all unsere offenen Fragen los geworden waren, begaben wir uns in drei Kleingruppen geteilt, von jeweils zwei Angestellte der Schule begleitet, durch die Schule. Hier hatten wir die Möglichkeit verschiedenen Unterrichtssequenzen beizuwohnen, wie beispielsweise einem Sozialkundeunterricht, in welchem Romeo und Julia besprochen wurde, dem Musikunterricht, in dem für ein anstehendes Konzert geprobt wurde oder einem Matheunterricht für Schüler*innen welche weitere Lernförderung benötigen. Während der Hospitationen hatten wir stets die Möglichkeit auftretende Fragen an unsere Begleiter*innen, die Lehrer* innen oder Schüler*innen zu stellen oder Gesehenes zu besprechen. Besonders intensive Gespräche ergaben sich auf der einen Seite mit dem resource teacher, welche uns einen ausführlichen Einblick in die personal learning plans gab und auf der anderen Seite mit zwei der Lehrerinnen, welche sich um die Inklusion und Unterstützung der first-nation-students kümmern.


 


 

Durch diese beiden Lehrerinnen wurde schließlich zur Lunchtime ein Kontakt zum educational director hergestellt. Von unserem Interesse fasziniert, bekamen wir direkt das Angebot, sie persönlich zu treffen. Ihr Aufgabengebiet umfasst vor allem die Belange der indigenen Schüler*innen sowie deren Eltern und Lehrer*innen. Die einmalige Chance nutzend, begaben wir uns auf die zehn minütige Fahrt in die Community. In dem Jungend- und Trainingszentrum erhielten wir dann weitere Einblicke in das Leben der indigenen Bevölkerung und die Probleme mit denen sie täglich konfrontiert werden. Es war sehr beeindruckend, diese Informationen aus erster Hand zu bekommen.




 
Nach den Schul- bzw. Kindergartenbesuchen traf sich die Gruppe wieder, um nach Fredericton zu fahren - der erste und letzte Ort in New Brunswick für uns. Dort trafen wir uns um 14 Uhr mit Scott, der über Jobs Unlimited eine Arbeitsstelle in einem Hotel gefunden hat und uns seinen Arbeitsalltag vorstellte. Bei Jobs Unlimited handelt es sich um eine Organisation, die Menschen unterstützt, die wegen einer Beeinträchtigung oder aus anderen Gründen keine Arbeitsstelle finden. Sie helfen Ihnen, Jobs zu finden die zu ihren Interessen und Fähigkeiten passen und hilft ihnen durch individuelle Trainer*innen bei der Einarbeitung, wenn nötig.

Nachmittags hatte die gesamte Gruppe nochmal Freizeit, um sich in Fredericton umzusehen. Wir nutzten die Zeit um den Secondhand-Laden, der uns über Jobs Unlimited vorgestellt wurde, zu durchstöbern.

Abends besuchte uns Rod Cumberland, der Präsident von "Home Educators of New Brunswick" im unserem Hotel, um mit uns über Homeschooling zu sprechen.
Ganz im Gegensatz zu unserem vorherigen Treffen zum Thema Schulunterricht zu Hause, konnte uns Rod durch seine charismatische Art und Kritikfähigkeit dazu bringen, das Thema nochmal anders zu betrachten und ernsthaft darüber als Alternative zum traditionellen Schulsystem nachzudenken. Weiterhin skeptisch muss man dennoch sein, da einer der Hauptursachen für das Homeschooling religiöse Gründe sind und ein sehr traditionelles (diskriminierendes) Frauenbild unterstützt wird. Häufig bleiben die Frauen zu Hause und unterrichten die Kinder, während die Väter arbeiten - finanziell unterstützt wird das Homeschooling in Kanada nicht, wodurch wenigstens ein Einkommen notwendig ist - somit ist das Konzept für alleinerziehende Elternteile eine Sache der Unmöglichkeit. Home Educators Of New Brunswick ist auf dem Glauben gestützt und richtet sich nach der Bibel, was ich, vorsichtig ausgedrückt, schwierig finde.
Sehr enttäuscht bin ich im Nachhinein von der mangelnden Toleranz der Organisation gegenüber LGBQIT* people. Auf mein Nachfragen hin, wie er persönlich und auch HENB dazu stehen würde, meinte Rod er würde nicht über (beispielsweise) homosexuelle Paare richten und sie tolerieren, solange sie die "christliche Nächstenliebe" leben würden. Auf der Internetseite steht jedoch eindeutig: "We Understand: “Family” to mean a male and female parent, legally married (Genesis 1:26-28), although we recognize the exceptions of a single parent, adopted, foster, and step children (James 1:27)." Gleichgeschlechtliche Elternteile sind hier also ausdrücklich ausgeschlossen.

Schade, es wäre zu schön gewesen. 

Annekat

*LGBQIT - Lesbian, Gay, Bi, Queer, Inter, Trans - sprich, alle Menschen, die nicht den heteronormativen Vorstellungen unserer Gesellschaft entsprechen.